Gedenken an ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter in Wien
1944/45: Stadt Wien als Arbeitgeber für ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter
(c) Rudolf Leo: Mit zunehmender Kriegsdauer wird — trotz Zwangsverpflichtung ausländischer Arbeiter — der Mangel an Arbeitskräften im „Dritten Reich“ immer größer. Der Bürgermeister von Wien, SS-Brigadeführer Hans Blaschke, ersucht deshalb am 7. Juni 1944 den Chef des Sicherheitsdienstes der SS Ernst Kaltenbrunner um Bereitstellung von ungarischen Juden für kriegswichtige Betriebe in Wien. Aus diesem Grund werden in vielen Bezirken Wiens Internierungslager für Juden, in denen auch nicht arbeitsfähige — für „Sonderaktionen“ bereitgehaltene — Frauen und Kinder festgehalten werden, .[1]Die damals 28jährige Leiterin der Fürsorgeabteilung, Franzi Löw, erinnert sich: „Der Lagerleiter aus dem 15. Bezirk, aus der Hackengasse, hat die Kultusgemeinde [sic] angerufen, mich verlangt und gebeten, ich soll so rasch wie möglich in das Lager kommen, es seien 600 Menschen in seinem Lager, die Hilfe benötigen. Ich habe alles stehen und liegen gelassen, bin sofort in die Hackengasse gefahren […] Es waren alle 600 Juden in einem großen Turnsaal versammelt. Ich habe ihnen gesagt, dass auch ich Jüdin bin, genauso wie sie Juden sind […] der jüdische Leiter, ein Herr Göndör, hat als erstes um Medikamente und Wäsche gebeten. Wir hatten ja […] beim Ältestenrat eine Kleiderkammer. Aus dieser Kleiderkammer konnte ich den ungarischen Juden das Notwendigste für jeden, Hemden, Hosen, Taschentücher und Anzüge, zur Verfügung stellen. Auch in diesem Falle hatte mir der Ältestenrat einen Handwagen zur Verfügung gestellt, und mit diesem Handwagen, der so groß war wie ein Tisch, bin ich von der Seitenstettengasse jeden Tag in ein anderes Lager gefahren…“[2]
Die ungarisch-jüdischen Arbeitskräfte werden bei Bau- und Räumungsarbeiten nach Bombenangriffen eingesetzt. Das Gauarbeitsamt teilt den Arbeitgebern je nach Bedarf Gruppen in unterschiedlicher Größe zu. Der Arbeitgeber mit der größten Anzahl jüdischer Beschäftigter ist die Gemeinde Wien. Hier werden sie im E- und Gas-Werk und in der Landwirtschaft eingesetzt.
Die Verpflegung der Lagerinsassen ist schlecht. Die Häftlinge sind auf Nahrungsmittel von ZivilistInnen angewiesen. Lappin Eppel: „…Die Wachen des Lagers Hackengasse duldeten die an sich streng verbotenen Hilfeleistungen durch die Zivilbevölkerung. So gut wie jede/r Überlebende berichtet, von ZivilistInnen Nahrungsmittel bekommen zu haben. Dies war auch bitter nötig, denn auch im ‚Musterlager‘ Hackengasse kam das Essen von der WÖK und war entsprechend schlecht. Es bestand vorwiegend aus Dörrgemüse und Futterrübensuppe sowie einem Viertel oder Drittel Laib Brot täglich, bisweilen erhielten die Insassen auch ein wenig Wurst oder Aufstrich (…) Den Hunger konnten die viel zu kleinen Portionen nicht stillen…“[3]
Im Lager Hackengasse müssen sich fünf oder sechs Familien ein Klassenzimmer teilen. Für die „Infrastruktur“ verrechnet die Abteilung 45 der Gemeinde Wien den Arbeitgebern 3,40 Reichsmark pro ArbeiterIn und Arbeitstag „für Entlohnung, Ausfallskosten, Verpflegung und Unterkunft“.[4]
1995: Enthüllung einer Gedenktafel für die Opfer
Im September 1995 — 50 Jahre nach Kriegsende — wird mit einer Gedenktafel an das Schicksal der ungarisch-jüdischen ZwangsarbeiterInnen erinnert.[5]
Text:
In diesem Haus waren
zwischen Juni 1944
und April 1945
etwa
500 ungarische Juden,
darunter
zahlreiche Kinder,
interniert.
Sie waren von den
Nationalsozialisten
als Arbeitssklaven
verschleppt worden.
Viele von ihnen
starben an den
erlittenen Entbehrungen
und Mißhandlungen.[6]
Stifter ist der Museumsverein Rudolfsheim-Fünfhaus. Gestaltet wird die Tafel von Horst Stöckel.
Die Gedenktafel entstand auf Initiative von Mitarbeitern des Instituts für Geschichte der Juden in Österreich und des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes. Die Enthüllung findet am 7. September 1995 statt. Es sprechen Bezirksvorsteher-Stellvertreter Paul Zimmermann, Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg und Bürgermeister Michael Häupl. Oberkantor Shmuel Barzilai schließt die Gedenkfeier mit einem religiösen Gesang. [7]
2006: Hausabriss
Im August 2006 wird das Haus abgerissen. Mit dem Abbruch verschwindet auch die Gedenktafel.
2014: Bezirkspolitiker beschließen einstimmig Antrag für Gedenktafel
Am 13. November 2014 beschließen alle Parteien im Bezirk die Wiederanbringung der Gedenktafel.
MEHRPARTEIENANTRAG
Wien – Rudolfsheim-Fünfhaus
An die
Bezirksvertretung
Rudolfsheim-Fünfhaus
Gasgasse 8-10
1 1 5 0 W i e n
Betrifft: Mehrparteienantrag zur Bezirksvertretungssitzung am 13. November 2014 betreffend Gedenktafel Hackengasse 11
Die unterzeichneten Bezirksräte stellen gem. § 24 GO-BV nachstehenden
A N T R A G
Die MA 7 wird gebeten, am Haus Hackengasse 11 wieder eine Gedenktafel anzubringen , wie sie bereits 1995 angebracht wurde und auf die Internierung von 500 ungarischen Juden hingewiesen hat.
B E G R Ü N D U NG
Im Zuge der Abbrucharbeiten ist diese Tafel verschwunden. Der Bezirksvertretung ist es aber wichtig, auf die Situation in diesen Zeiten hinzuweisen, damit auch die junge Generation über die Gräueltaten informiert wird.
Ing. Roman Adametz
Mag. Merja Biedermann
Christian Tesar
Auch der zuständige Stadtrat Mailath Pokorny spricht sich im Dezember 2014 in einem Schreiben für die Wiederanbringung der Gedenktafel aus.
Der 70. Jahrestag wäre der geeignete Anlass, eine neue Gedenktafel (da die alte nicht aufgefunden werden kann) anzubringen und damit dem Schicksal der in der Hackengasse zwangsweise angehaltenen ungarischen Juden und Jüdinnen zu gedenken und den Opfern ein würdevolles Andenken zu bewahren.
Am 4. September 2015 wird die neue Gedenktafel enthüllt.
[1] http://www.nachkriegsjustiz.at/vgew/1150_hackengasse.php
[2] Franzi Löw. In DÖW (Hg.), Jüdische Schicksale, S. 195; zitiert In: Eleonore Lappin-Eppel: Ungarisch-Jüdische Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen in Österreich 1944/45, LIT Verlag, 2010 S. 86
[3] Eleonore Lappin-Eppel: Ungarisch-Jüdische Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen in Österreich 1944/45, LIT Verlag, 2010 S. 97
[4] Vgl. Eleonore Lappin-Eppel: Ungarisch-Jüdische Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen in Österreich 1944/45, LIT Verlag, 2010 S. 91 ff
[5] Gedenken und Mahnen in Wien 1934-1945. Gedenkstätten zu Widerstand und Verfolgung, Exil, Befreiung. Eine Dokumentation (hrsg. v. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Bearbeitung: Herbert Exenberger, Heinz Arnberger, unter Mitarbeit von Claudia Kuretsidis-Haider), Wien 1998, S, 333 sowie 337.
[6] Text auf der Messingtafel des Hauses Hackengasse 11
[7] Wiener Zeitung, 8. 9. 1995; Gedenktafel für Zwangsarbeiter, in: Die Presse, 8. 9. 1995; Der neue Mahnruf, Nr. 8/9, August/September 1995; Enthüllung der Gedenktafel in der Hackengasse, in: David. Jüdische Kulturzeitschrift, Nr. 26, September 1995; Gedenktafel für ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter, in: Schalom. Zeitschrift der österreichisch-israelischen Gesellschaft, Nr. 3, September 1995; Gedenktafel für ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter, in: Die Gemeinde. Offizielles Organ der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, Nr. 451, 20. 9. 1995; Gedenktafel für ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter, in: Rathaus-Korrespondenz, Nr. 35/36, 1995; Mitteilungen DÖW 123/1995. http://www.nachkriegsjustiz.at/vgew/1150_hackengasse.php