Gedenktafel am Restaurant Leberfinger

Gedenktafel am Restaurant Leberfinger

 

Am 29. März 2017 haben die Justizministerin und die Justizminister der Slowakei, Österreichs und Ungarns Lucia Žitňanská, Wolfgang Brandstetter und László Trócsányi eine Gedenktafel für die Opfer des Lagers Engerau enthüllt.

Künstler: Vladimír Chovan (Atelier 007, De­le­ná 7, Bratislava 841 07)

Finanzierung:
Nationalfonds der Republik Österreich
Zukunftsfonds der Republik Österreich
Österreichisches Bundesministerium für Justiz
Privatpersonen

Das heutige Restaurant Leberfinger, Viedenská cesta, 851 01 Bratislava-Petržalka, war von De­­zember 1944 bis Ende März 1945 Teil des Lagers Engerau.
Anfang Dezember kamen ca. 2.000 ungarische Juden in geschlossenen Waggons auf dem Bahnhof in Engerau an. Die deut­­sche Bauleitung „Unterabschnitt Engerau” ließ Gruppen zu je 120-150 Mann zu­sam­men­­stellen. Die Juden wurden in alten Baracken untergebracht, aber auch in Bauernhöfen, Scheu­­nen, Ställen und Kellern, also direkt bei der Ortsbevölkerung.
Wie in den anderen Lagern entlang des „Südostwalls” wurden die Juden von der SA sowie von „Politischen Leitern” bewacht. Die SA-Wache unterstand Scharführer Edmund Kratky, der später von Scharführer Erwin Falkner abgelöst wurde. Das Hauptquartier der SA, die von SA-Un­terabschnittleiter Gustav Terzer befehligt wurde, befand sich in Kittsee. Für die „Po­li­ti­schen Leiter” zuständig war NSDAP-Ortsgruppenleiter Karl Staroszinsky.
Die Arbeitseinsatzorte befanden sich zwischen der damaligen deutsch-ungarisch-slo­wa­ki­schen Grenze und Berg-Hainburg-Kittsee. Die sanitären Verhältnisse waren unvorstellbar, die Leute mussten hier unter furchtbaren hygienischen Bedingungen hausen. Von Dezember bis Februar gab es kein Wasser, weil die Brunnen eingefroren waren, die Menschen starben zu­­hauf sowohl an den Verhältnissen im Lager als auch aufgrund von Erschöpfung bei der an­stren­­genden Arbeit des Schanzens sowie weil sie von der zum Großteil aus Wien stam­men­den SA-Wachmannschaft bzw. von den sie beaufsichtigenden Politischen Leitern miss­han­delt und getötet wurden. Eine slowakische Untersuchungskommission exhumierte im April 1945 460 Tote.
Das 300 Jahre alte Gasthaus Leberfinger an der Donau war eine Einkehrstätte, unter an­de­rem für Gäste aus Wien, und hatte aus der Zeit des Verkehrs mit Pferdefuhrwerken ein Stall­ge­­bäude mit einem Dachboden, um für die Pferde der Reisenden Unterkunft zu ge­währ­leis­ten.
Angehörige der SA-Wachmannschaft bezeichneten den Dienst im Lager Leberfinger als „am schöns­­ten und leichtesten”. Generell kamen die SA-Männer gerne hierher, um Wein zu trin­ken. Die Juden waren in einem großen, lan­gen Schuppen – ein ehemaliger Pferdestall – mit zwei Eingängen „untergebracht”. Dieser stand parallel zum Privatgebäude, aus dessen Kü­che man auf die Eingänge des Schuppens se­hen konnte. Im oberen Teil des Schuppens war ein Raum, der wahrscheinlich zur Auf­be­wah­rung von Heu und Stroh gedient hatte. Die Ju­den mussten über eine Leiter he­run­ter­stei­gen. Der ehemalige Häftling Ernö Honig beschrieb die Unterkunft folgendermaßen:

„Wir schliefen dort […] in einem Stall mit betoniertem Boden ohne jede Unterlage und ohne Hei­­zung, sodass von uns, als wir Engerau verließen, nur mehr wenige am Leben waren. Die üb­ri­gen wurden teils bei der Arbeit erschlagen, teils starben sie an Erschöpfung oder den Fol­gen von schweren Erfrierungen. Es war uns verboten, uns zu waschen und wir waren des­halb vo­ller Läuse und voll von Furunkeln und anderen eiternden Wunden.“

Nachdem von der zuständigen Kreisleitung der Befehl zur Evakuierung des Lagers er­gan­gen war – die Gefangenen sollten zu Fuß nach Bad Deutsch-Altenburg marschieren, um von dort per Schiff nach Mauthausen transportiert zu werden – traf der Lagerkommandant Erwin Falk­­ner die Entscheidung, die „nicht-marschfähigen” Häftlinge liquidieren zu lassen und stell­­te ein Sonderkommando zusammen. Zwischen 17 und 18 Uhr des 29. März 1945 mar­schier­­ten mehrere Angehörige des Sonderkommandos zunächst in das Lager Wiesengasse und er­schos­sen dort ca. 60 „marschunfähige” Lagerinsassen. Eine andere Gruppe des Son­der­­kom­mandos begab sich zum Gasthaus Leberfinger und liquidierte im Stall zumindest 13 Häft­­linge, die sich auf die Frage, wer nicht mitkommen könnte, gemeldet hatten. Die dra­ma­ti­­schen Ereignisse im Hof des Gasthauses schilderte die Wirtin Leberfinger am Tag darauf dem Gen­dar­men des Gendarmeriepostens Hainburg Karl Brandstetter und dem Po­li­zei­re­ser­vis­­ten Jo­hann Hartl, die die ersten Ermittlungen zur Aufklärung des Verbrechens führten. Im Zu­­ge der volksgerichtlichen Untersuchungen im Sommer 1945 gab Brandstetter dies­b­e­züg­lich zu Pro­tokoll:

„Wir gingen in das Gasthaus Leberfinger in Engerau, um dort einen warmen Kaffee zu trin­ken. Die Wirtin, Frau Leberfinger, sagte zu uns: ‚Heute bekommt ihr noch etwas, aber mo­r­gen nicht mehr. Denn erstens sind die meisten Angestellten evakuiert worden und zweitens blei­­be ich nicht länger in dieser Leichenkammer.’ Frau Leberfinger sagte uns, dass in ihrem Haus dreizehn erschossene Juden liegen. Wir ersuchten sie, uns die Leichen zu zeigen, was Frau Leberfinger mit der Bemerkung ablehnte, sie könne so etwas Grauenvolles kein zweites Mal ansehen. Sie sagte uns, wir sollten uns die Leichen alleine besichtigen. Wir gingen nun in das ehemalige Stallgebäude, wo sich das Lager für die Juden befand. Dort lagen Hab­se­lig­kei­ten der Juden verstreut umher. Im Hintergrund sahen wir schon einige Leichen liegen. Die Lei­­chen hatten Kopfschüsse und lagen in einer Blutlache. Sämtliche Leichen trugen den Ju­den­­stern. Im Hofraum lag auf einer Pritsche eine Leiche, die mehrere Schüsse, teils im Kopf, teils in der Brust aufwies. Diese Leiche war nur mit einem Hemd und einer langen Stoffhose be­­kleidet. Auch in der Nähe der Latrine, die im Hofe war und eigens für die Juden bestimmt war, lagen zwei der drei Leichen, ebenfalls durch Kopfschüsse getötet. Der Anblick der Le­i­chen war grauenhaft. Wir gingen noch im Hof umher und sprachen dann mit der Gastwirtin, wie sich die Ermordung zugetragen hat. Frau Leberfinger erzählte uns nun, dass die po­li­ti­schen Leiter am 29. März 1945 (Gründonnerstag) um ca. 22 Uhr die Juden zum Abmarsch an­tre­­ten ließen. Es meldeten sich eben diese 13 Juden, dass sie krank seien und nicht mar­schie­ren können. Darauf sagten die politischen Leiter, diese 13 Juden würden später abgeholt wer­­den. Als nun die marschfähigen Juden aus dem Hause marschierten, kamen schon einige po­­litische Leiter oder SA-Männer, die Uniformen kenne sie nicht so genau, zum Tor herein, gin­­gen in das Stallgebäude wo sich die nicht marschfähigen Juden befanden und in wenigen Mi­­nuten hörten wir schon eine wilde Schießerei sowie verzweifelte Hilferufe. Sie konnte dies nicht weiter anhören und lief in das Haus zurück. Weitere Angaben konnte Frau Leberfinger nicht machen.“

Der Text der Gedenktafel ist in slowakischer, ungarischer, deutscher und hebräischer Sprache zu lesen:

Deutsche Version:

„Während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft befand sich von November 1944 bis März 1945 in Petržalka (Engerau, Pozsonyligetfalu) ein Lager für ungarisch-jüdische Zwangs­ar­­beiter, die am „Südostwall“ Schanzarbeit leisten mussten. Die ca. 2.000 ungarischen Juden wa­­ren zwangsweise unter unmenschlichen Bedingungen in mehreren Teillagern einquartiert. Ei­nes der Teillager befand sich im Nebengebäude des damaligen Gasthauses Leberfinger. Im Zu­­ge der Evakuierung der Gefangenen in das KZ Mauthausen wurden hier am 29. März 1945 min­­destens 13 Häftlinge von Wiener SA-Männern grausam ermordet.

Ehre Ihrem Andenken!

An die 1945 von einer slowakischen Untersuchungskommission exhumierten 460 Toten des La­­gers Engerau, darunter die mehr als 100 Opfer des Evakuierungsmarsches, erinnern ein Mahn­­mal auf dem Friedhof von Petržalka sowie Gedenksteine in Wolfsthal und Bad Deutsch-Al­ten­burg.

Wir vergessen weder die Leiden der Opfer noch die Verbrechen der Täter.

Niemals wieder!“