Befreiungstag
8. Mai 2017, Morzinplatz 1010 Wien
Fotos: Ursula Berner, Nikolaus Kunrath
Rede Claudia Kuretsidis-Haider
Sehr geehrte Damen und Herren!
Der 8. Mai, der Tag der Kapitulation der Deutschen Wehrmacht, beendete das nationalsozialistische Terrorregime in Österreich, das von vielen Menschen hierzulande maßgeblich und aktiv mitgestaltet, von anderen passiv geduldet und mitgetragen sowie von wenigen aktiv bekämpft wurde. Die Befreiung erfolgte nicht – wie in der Moskauer Deklaration vom November 1943 von den Alliierten gefordert – aus eigener Anstrengung, sondern durch den opferreichen Einsatz der alliierten Truppen.
Bereits wenige Stunden vor der Kapitulation der deutschen Wehrmacht verabschiedete der Provisorische Kabinettsrat – also die erste österreichische, nur von der sowjetischen Besatzungsmacht anerkannte, Regierung – das Verbotsgesetz. Es ist dies ein österreichisches Bundesverfassungsgesetz, mit dem die NSDAP verboten und die Entnazifizierung in Österreich gesetzlich geregelt wurde. Mit dem Beschluss des Verbotsgesetzes wurden die NSDAP, ihre Wehrverbände und sämtliche ihr zugeordnete Organisationen offiziell aufgelöst und verboten. Eine Neugründung und die Wiederbetätigung für nationalsozialistische Ziele wurde ebenfalls verboten – und ist bis heute unter Strafe gestellt. Das Verbotsgesetz bildete gemeinsam mit dem am 26. Juni 1945 erlassenen Kriegsverbrechergesetz, das u.a. Verbrechen wie Massenmorde, Morde in Konzentrationslagern, Quälereien und Misshandlungen, Verletzungen der Menschenwürde, Deportationen, Arisierungen sowie Denunziationen sanktionierte, die Grundlage für die strafrechtliche Verfolgung von nationalsozialistischen Verbrechen in Österreich.
Das am 8. Mai erlassene Verbotsgesetz war das Ergebnis von Diskussionen zwischen Dr. Josef Gerö, später Justizminister, und Dr. Adolf Schärf, später Bundespräsident, die den Inhalt des Gesetzes innerhalb weniger Tage formuliert und dem Provisorischen Kabinettsrat vorgelegt hatten. Der 8. Mai ist somit nicht nur der Tag der Befreiung, sondern auch der Tag der Absichtserklärung der damaligen provisorischen Regierung, nationalsozialistische Verbrechen ahnden zu wollen.
Für viele Menschen kamen die NS-Gesetze und die Befreiung allerdings zu spät. In den letzten Wochen vor dem Ende der NS-Herrschaft wurden, nicht zuletzt von Österreichern, noch unfassbare, grauenhafte Verbrechen verübt, sodass viele das Ende der NS-Herrschaft nicht mehr erleben konnten.
*) Etwa für die ca. 200 ungarisch-jüdischen Zwangsarbeiter, die in Rechnitz am 24. März 1945 am Rande einer Feier im Schloß Batthyány im Kreuzstadel ermordet wurden. Ihre sterblichen Überreste konnten bis heute nicht gefunden werden.
*) Etwa für die mehr als 500 ungarisch-jüdischen Zwangsarbeiter des Lagers Engerau, die von Wiener SA-Männern zwischen Dezember 1944 und März 1945 ermordet wurden, die letzten 100 im Zuge eines sogenannten Todesmarsches von Engerau nach Bad Deutsch-Altenburg am 29. März 1945
*) Etwa für die ca. 60 ungarisch-jüdischen Zwangsarbeiter, die ebenfalls am 29. März von HJ-Angehörigen in Deutsch-Schützen im Burgenland ermordet wurden.
*) Etwa für die mehr als 400 zum Großteil politischen Häftlinge des Zuchthauses Stein an der Donau, die am 6. April und in den darauffolgenden Tagen nach ihrer Entlassung durch den Leiter der Strafanstalt Franz Kodré von SS, Volkssturm und unter tatkräftiger Mitwirkung der örtlichen Bevölkerung ermordet wurden. Den in Hadersdorf am Kamp erschossenen früheren Häftlinge des Zuchthauses Stein ist bis heute die Anerkennung als politische Gefangene verwehrt. Um diese Anerkennung kämpft unter anderem die Tochter eines der erschossenen Widerstandskämpfer schon seit vielen Jahren. Und gerade heute, am Befreiungstag ist sie zu einer zeugenschaftlichen Aussage polizeilich vorgeladen worden.
*) Etwa für die am 7. April 1945 vom Eisenerzer Volkssturm auf dem Präbichl erschossenen mehr als 200 ungarischen Juden, die zu Fuß in das KZ Mauthausen marschieren sollten.
*) Etwa für die am 25. April im kärntnerischen Bad Eisenkappel von Angehörigen einer Gendarmarieeinheit ermordeten Mitglieder der Familien Sadovnik und Zogoj (im Alter von wenigen Monaten bis über 80 Jahren), die slowenischen Partisanen Unterschlupf gewährt hatten.
Diese Aufzählung repräsentiert nur einen Bruchteil der in den letzten Wochen und Tagen der NS-Herrschaft verübten Verbrechen. Eine vor zwei Jahren gezeigte Ausstellung hat dies eindrücklich dokumentiert und ebenfalls nur Schlaglichter darauf werfen können. Für all diese Menschen kam die Befreiung am 8. Mai zu spät. Für viele markierte dieses Datum aber den Untergang des 3. Reiches und den Tag der Niederlage. Auch heute noch gibt es Menschen, die das so empfinden, und sie werden wieder mehr. Für uns demokratisch gesinnte Menschen, Antifaschistinnen und Antifaschisten ist dieser Tag hingegen ein Freudentag. Doch sollte dieser Freudentag nicht nur mit einem „Fest der Freude“ begangen werden. Sondern dieser 8. Mai sollte ein staatlicher Feiertag sein. Ein Tag, an dem wir uns aber auch an die Millionen Opfer der NS-Herrschaft erinnern, die uns mahnen, dafür Sorge zu tragen, dass wir bereits den Anfängen wehren müssen. Nie wieder Krieg, Nie wieder Faschismus!